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Alphabetisierung als Trauma im Lernen und Lehren

KCR 10/2010: Alphabetisierungsschwierigkeiten

 

 

Wie gibt das Schreiben Auskunft zum Entwicklungsgeschehen?

An dem vorliegenden Schriftbeispiel von J.* aus der Klasse 3  werden entstandene Alphabetisierungsschwierigkeiten erkennbar:

  • Druck- und Schreibschriftbuchstaben werden gemischt
  • Das Halten der Linie beim Schreiben ist nicht möglich
  • Manche Buchstaben werden im Klang/ und in Schreibumsetzung verwechselt
  • Die Schrift weist keine nachvollziehbare Struktur aus.

 

Entwicklungs- und begabungsbezogene Lern- und Förderstrategien:

Beobachtung und Früherkennung

Der sinnvollen Erarbeitung der Förderstrategie von Schwierigkeiten im Schreiben geht die Beobachtung und Früherkennung von Alphabetisierungsschwierigkeiten ab dem Einschulungsalter wie folgend voraus : 

  • Die Rechschreibkompetenz entwickelt sich zwischen Klasse 1-4 minimal 
  • Bei begabten und hochbegabten Schülern fällt der Widerspruch zwischen der überdurchschnittlichen sprachlichen Kompetenz und der mangelhaften Verschriftlichung von Gesprochenem auf
  • Das Kind erscheint lernunwillig, unmotiviert und erschöpft
  • Die Verbindungen zwischen den Buchstaben fehlen/werden kaum ausgeführt (s.oben)
  • Aufgaben, die mit dem Lesen und Schreiben zu tun haben, werden vermieden.
  • Beim Lesen werden Buchstaben, Worte oder Texte geraten, statt gelesen.
  • Beim Schreiben werden Druck- und Schreibschrift (s.Beispiel) vermischt.
  • Nicht erlernte und nicht verinnerlichte Buchstaben werden nicht verschriftlicht
  • Beim Diktat fallen Worte auf, die ausgelassen oder nicht vollständig verschriftlicht wurden.
  • Angekündigte Klassenarbeiten im Deutschen lösen Angst, Kopf-Bauch- und Übelkeitsbeschwerden- und Vermeidungsverhalten aus.

Nicht zu vergessen ist, dass jedes Kind, das Schwierigkeiten im Lesen und/oder Schreiben entwickelt, darunter leidet. Bestätigen Sie das Kind in den Stärken und Begabungen, denn diese sind wertvolle Brücken zur Überwindung der Schwierigkeiten.

Weiterführende Links






Die Mutter von J.* berichtet von ihren Erfahrungen, pädagogischen Missverständnissen, Fehleinschätzungen
und gewonnenen Erkenntnissen/ Teil I :

Coaching bei Frau Rulis

Als wir Frau Rulis das erste Mal begegneten, war mein Sohn in der dritten Klasse. Er konnte nicht schreiben und überhaupt litt er zunehmend unter der Schule. Nicht im sozialen Umfeld, er hatte Freunde und war in der Klasse durchgehend vor allem wegen seines Gerechtigkeitssinnes sehr anerkannt, doch im Unterricht.

Die Lehrerinnen bescheinigten ihm zwar immer wieder Klugheit, doch leider müsse er schneller werden und dürfe nicht immer nur interessegeleitet lernen. Die Forderungen waren absurd, von Anfang an sahen wir uns mit diesem Paradox konfrontiert.

 Ergo-Therapie, Übungen zu Hause brachten Fortschritte für das Kind, nicht aber für den Erfolg in der Schule. Durch eine Nachbarin erfuhren wir von Frau Rulis, einer ausgewiesenen Expertin für Begabtenförderung und Linkshänder.


 J.* lernte nicht nur das Schreiben, er wurde auch das erste Mal anerkannt in seinen Fähigkeiten. Durch gezieltes Training konnte er seine Konzentrationsfähigkeit verbessern und zu einer eigenen Schrift finden.

 In der Schule kam er vorübergehend besser zurecht, doch konnte er vor allem seine Schreibfähigkeit steigern, konnte die Schule ihm immer weniger adäquate Angebote machen. Anfang der fünften Klasse führte das zu einer Art Depression. 

Voller Freude hatte er auf den Fachunterricht (NaWi, Geschichte) gehofft, doch wenn er dort auch gute Leistungen brachte, wurde seinem Wissensdurst nicht entsprochen. Stattdessen wurde er immer wieder auf seine immer noch undeutliche Schrift verwiesen. („Für jemanden, der nicht richtig schreiben kann, hast Du ja ein ganz ordentliches Plakat gemacht.“) 


*Name aus datenschutzrechtlichen Gründen anonym